Noémie Meier

E.T.A. Hoffmanns Sandmann

26. Dezember 2024

Warum der Text von 1816 auch heute noch aktuell ist.

In folgendem Text werden wir das Augenmotiv von dem Buch der Sandmann genauer anschauen. Das vor allem im Hinblick auf die Frage: Was passiert mit einem Menschen, wenn er seinen Augen nicht mehr trauen kann. Weitergehend werden wir uns damit beschäftigen, inwiefern diese Frage für uns heute relevant ist.

Quelle: https://pixabay.com/de/illustrations/auge-iris-biometrie-iris-erkennung-7173262/

Im Deutschunterricht haben wir das Buch der Sandmann von E.T.A Hoffmann gelesen und besprochen.

In der Geschichte, welche 1816 erstmals erschienen ist, geht es um den jungen Studenten Nathanael, welcher von einem traumatischen Erlebnis in seiner Kindheit heimgesucht wird. Sein eigenes Trauma belastet ihn und treibt ihn immer mehr in den Wahnsinn, bis er am Schluss der Geschichte Suizid begeht. In Nathanaels Kindheit hat sein Vater nachts mit einem anderen Mann namens Coppelius alchemistische Versuche gemacht.

Nathanael wollte wissen, was sein Vater dort macht, und spionierte ihm nach. Der Arbeitskollege des Vaters, Coppelius, erwischt Nathanael dabei und droht ihm mit dem gewaltsamen Entfernen seiner Augen. Dieser Coppelius wird Nathanael bis an sein Lebensende verfolgen, taucht aber in einer anderen Gestalt auf, nämlich in der des Coppola. Für Nathanael sind sie dieselben, ob sie jedoch wirklich ein und dieselbe Figur sind, bleibt dem Leser vorenthalten.

In der von Hoffman erzählten Geschichte spielen Augen eine grosse Rolle. Die Augen sind der Triggerpunkt von Nathanael. Immer wenn ihm etwas Schlimmes zustösst, hat dies einen direkten Zusammenhang mit seinen Augen. So verliebt sich Nathanael im Verlauf der Geschichte in die Tochter seines Dozenten, Olympia. Er verliebt sich jedoch unsterblich in eine Lüge, denn Olympia ist ein Automat und keineswegs ein echter Mensch. Sie war lediglich ein Versuch, menschliches Leben nachzuahmen, und Nathanael diente dabei als Versuchskaninchen. Nach diesem Erlebnis verliert er in der Geschichte immer mehr den Kontakt zu der Realität, bis er schliesslich komplett wahnsinnig wird. Aber es ist nicht so, als ob Nathanael die ganze Zeit in seiner wahnsinnigen Phase ist. Es sind viel mehr Triggerpunkte, die diesen Wahnsinn in ihm auslösen. Dies sieht man besonders gut am Schluss, als Nathanael Clara vom Turm stossen wird. Vorher war er mehr oder weniger normal. Als er sie jedoch durch das Perspektiv, welches er von Coppola erworben hatte,

anschaut, will er sie hinunterstossen, weil er denkt sie sei ein Automat. Schliesslich hat er Olympia auch immer durch dieses Perspektiv beobachtet, und sie hatte sich ja auch als einen Automaten herausgestellt.

Nathanael ist ein Beispiel dafür, wie sehr wir Menschen von dem, was wir sehen, beeinflusst werden. Der Sehsinn ist für uns Menschen der wichtigste Sinn, deshalb aber auch unsere grösste Schwachstelle. Schliesslich führt man wichtige Gespräche auch lieber persönlich vor Ort, anstelle telefonisch. Telefonisch fällt die nonverbale Ebene der Kommunikation weg. Das führt viel leichter zu Missverständnissen, eben weil es für uns Menschen so wichtig ist, unsere Gesprächspartner zu sehen, damit wir auch Gestik und Mimik lesen können.

Nathanael hat aber durch seine Traumata kein Vertrauen mehr in seine Augen, was ihn immer mehr verunsichert. Er weiss nicht mehr, was er noch glauben kann und was nicht.

Dieses Motiv wird auch in heutigen Erzählungen aufgegriffen, wie zum Beispiel im Thriller Views von Mark-Uwe-Kling[1], welches im Jahr 2024 veröffentlicht wurde. Dort veröffentlicht eine nicht regulierte Künstliche Intelligenz Deepfakes in den sozialen Medien, welche die Gesellschaft stark polarisieren. Es kommt in der Geschichte zu immer mehr Gewaltausschreitungen, weil die Leute die Deepfakes nicht als solche erkennen. Sie sehen täuschend echt aus. Man könnte sagen, in Mark-Uwes Geschichte ist die Gesellschaft analog zu Nathanael. Beide werden immer wahnsinniger und verlieren ihre Menschlichkeit, bis zur absoluten Verrücktheit.

Zeitalter von KI und Deepfakes

Um nun die in der Einleitung gestellte Frage nochmal aufzugreifen: Inwiefern ist dieses Thema für uns heute noch relevant?

In einer Zeit, wo wir einen ganzen News Artikel mit einem Klick erstellen, oder Fotos und Videos generieren können, müssen wir uns tagtäglich mit der Frage auseinandersetzen, was real ist und was nicht. In gewissen Situationen stehen wir vor dem gleichen Problem wie Nathanael: Wir können dem, was wir sehen, nicht immer trauen. Dieses Problem war schon 2013 mit dem Varoufakis-Stinkefinger[2] viel in den Medien diskutiert.

Nun haben wir aber noch viel mehr technische Möglichkeiten ein Video effektiv zu fälschen, und diese Möglichkeiten werden immer mehr für die allgemeine Gesellschaft zugänglich gemacht. Das heisst, diese Unterscheidung, was echt ist und was nicht, wird noch schwieriger. Dabei können Fehler passieren, irren ist menschlich. Aber gerade Fehler bei der Unterscheidung, ob etwas echt oder gefälscht ist, können teils schwerwiegende Auswirkungen haben. Und diese Entscheidung wird immer alltäglicher. Mit den sozialen Medien und dem Internet werden wir jeden Tag von Informationen überflutet. All diese Informationen müssen wir in diese Kategorien echt/gefälscht einsortieren. Deshalb beziehen Schulen überfachliche Kompetenzen, wie kritisches Denken und Quellen hinterfragen, mehr und mehr in den Schulstoff ein, welchen sie übermitteln. Ein gutes Beispiel dafür ist die Quellenanalyse von historischen Quellen im Geschichtsunterricht oder Module zum kritischen Denken, die freiwillig von Schülern besucht werden können.


[1] Inhaltsangabe von ‘Views’: https://kommunikativeslesen.com/2024/07/23/marc-uwe-kling-views/

[2] https://www.srf.ch/news/panorama/panorama-stinkefinger-varoufakis-sensationsluesternheit-statt-sachlichkeit

[3] https://www.studyhelp.de/online-lernen/deutsch/der-sandmann-zusammenfassung/